GOTIK
"Akrobaten der Höhe"
Ihre Anfänge nimmt die Gotik im 12. Jhdt. in Frankreich. Ihr Sinnbild sind die riesigen Kathedralen. Erst im 13. Jhdt. entwickelte sich die Gotik auch in Deutschland. Gotische Kirchen erheben sich majestätisch in schwindelnde Höhen. Baumeister und Architekten bauten immer höher und waghalsiger - teilweise bis zum Größenwahn (siehe z. B. französische Kathedrale von Beauvais - Zusammensturz). Im Vergleich mit wuchtigen romanischen Kirchen erscheinen gotische Kirchen fast schwerelos. Ihre Höhe und Größe repräsentierten die religiöse als auch die politsche Macht damaliger Herrscher.
Merkmale Außen
- Deutlich kreuzförmiger Grundriss
- Weites Strebewerk, fließende Formen
- Gestaltete Fassaden mit zahlreichem detailliertem Figurenwerk
- Große bunte Glasfenster
- Gotische Verzierungen in Form von Ornamenten (Kreuzblume)
- Oft mehrere reich geschmückte Portale/Eingänge mit Tympana
- Gemälde an den Außenwänden (heute leider nur noch selten erhalten)
- Erstmals Gestaltung der Umgebung der Kirche (Kalvarienberg, Kreuzigungsgruppen usw.)
Merkmale Innen
- Großer Chorraum mit Schlussstein im Gewölbe
- Ganze Figuren- und Bilderreihen detailliert abgebildet; Wandmalereien (selten erhalten)
- Kostbare und feine Schnitzarbeiten (Altäre, Chorgestühle, Sakramentshäuser)
- Orgel
- Neue Gegenstände (Uhren, Monstranzen, Leuchterengel...)
- Pflanzenverzierungen an Wänden, Säulen, auf Bildern...
- Grabmäler
- Grabkapellen
Gigantische Höhenkonstruktionen erforderten neue Bauformen durch Strebewerk - Eisen wird neben Holz und Stein als neues Baumaterial entdeckt - an den Außenwänden und Kreuzrippengewölbe im Innern. Die Last des Gebäudes lag nun nicht mehr auf den Kirchenwänden allein, sondern wurde weitreichend über das Strebewerk verteilt. Gotische Kirchen tragen fast "Rüstungen" aus Eisen, diese sollten Stabilität im Mauerwerk und bei den riesigen Fenstern herstellen.
Gotische Kirchen sind meist dreischiffige Bauten mit einem hohen Mittelschiff und zwei niedrigeren Seitenschiffen. Ihr Grundriss ist insgesamt kreuzförmiger als bei romanischen Bauten; der Chorbereich im Inneren größer.
Glasfenster
Riesige farbige Glasfenster, die durch Maßwerk gegen die Witterung stabilisiert wurden. Sie verdeutlichen noch besser den Weg vom dunklen Portal bis zum Altar. Große gotische Kirchen besitzen oft ein mächtiges rundes Glasfenster über dem Eingangsportal; auch als Rose oder Rosette bezeichnet. Die runde Form des Fensters symbolisiert die Welt; der Lichteinfall in den Kirchenraum das "göttliche Licht".
Schnitzarbeiten: Mit der Gotik entfaltet sich die Kunst der Schnitzereien. Es entstehen Altäre (neue Altarformen: Flügelaltäre), Chorgestühle, Figurengruppen an Säulen und Wänden; ganze Geschichten und Gleichnisse aus dem Neuen und Alten Testament der Bibel in Bilderreihen. So konnte dem "einfachen" Volk, das größtenteils im Mittelalter nicht lesen konnte, die Heilsgeschichte und Erzählungen der Bibel besser nahe gebracht werden. Das Wort Gottes und die liturgischen Messen wurden ja grundsätzlich in der "Sprache der Kirche" - Latein - verkündet und zelebriert. Hinzu kommt, dass nun nicht mehr nur Heilige und Personen aus der Bibel sondern auch Könige, Adel, Kleriker dargestellt werden dürfen.
Tympanon: Portale und Kirchenzugänge wurden mit großen schmuckreich verzierten Tympana versehen. Häufige Themen hier sind das "Jüngste Gericht", Gleichnisse oder Christus als "Weltenherrscher"; bei Marienkirchen sind es oft Szenen aus dem Leben Mariens. Ganz bewusst platzierte man diese Darstellungsform außen über den Zugangsportalen: Der Gläubige sollte sich dadurch z.B. seiner schlechten Taten (Jüngstes Gericht) bewusst werden, bevor er die Kirche betrat.
Wohl eines der beeindruckendsten Tympana deutscher Kirchen; Hauptportal des Regensburger Doms
Reliquienschreine: Fertigung von Reliquienschreinen zur Aufbewahrung kostbarer Reliquien Heiliger. Diese Schreine geben uns heute Zeugnis hoher mittelalterlicher Goldschmiedekunst. Bekanntester Schrein in Deutschland "Dreikönigsschrein" im Kölner Dom.
Orgel: Gotische Kirchen werden erstmals mit Orgeln ausgestattet; die älteste Orgel ist die Chororgel in der Basilika de Valère in Sion (Schweiz) aus dem 15. Jahrhundert.
Tier/Fabelwesen: Darstellung von Tier- und Fabelwesen an Kirchen- Außenwänden als Schutz vor Teufel und Dämonen, dem Bösen.
Grabmäler: Künstlerisch gestaltete Grabmäler - nicht mehr nur für Märtyrer sondern nun auch für Klerus und Adel - entstehen, entweder durch in den Boden eingelassene Platten oder ganze Grabtafeln an den Wänden. Heute befinden sich in nahazu jeder Kirche Grabmäler.
Fastentücher: Seit dem 13. Jhdt. setzt man Fastentücher ein. In der Fastenzeit werden Hochaltar und manchmal auch Seitenaltäre oder Kruzifixe mit violetten oder besonders bemalten Tüchern verhängt. >> Zittauer Fastentücher
Backsteingotik
In norddeutschen Gebieten baute man gotische Kirchen oft auch aus rotem Backstein, da Sandstein fehlte. Diese Kirchen erscheinen oft schlichter und massiver als Gotikbauten aus Sandstein, da sie über keinen Ornamentschmuck verfügen.
Neugotik / Spätgotik
Als neu/spätgotische Kirchen bezeichnet man Sakralbauten, die nach gotischem Vorbild, jedoch erst Jahrhunderte später erbaut wurden. Ab dem 19. Jhdt. gab es im Kirchenbau eine Rückbesinnung auf "vergangene" Stilarten. Architekten entdeckten die Baustile Romanik, Gotik, Renaissance und Barock wieder neu. Diese Kirchen gelten als viel klarer und vollkommener in ihrer Stilart als ihre ursprünglichen Vorgänger, die meist im Laufe der Zeit stilistisch verändert wurden (gemischte Stile). Erstmals wurden auch Nachbauten des Heiligen Grabes oder kleine Grabkapellen, die an die Grablegung Jesu erinnern sollten, integriert. Hier wurden oft wertvolle Reliquien aufbewahrt.




